UZH-Dozierende entwickeln ein Onlinetool, das Studierende auffordert, Prüfungsfragen zum Unterrichtsstoff zu formulieren. Davon profitieren beide Seiten: Die Studierenden festigen ihr Wissen, und die Dozierenden erfahren, wo die Herausforderungen des Stoffs liegen.
Es ist kurz vor Mitternacht und morgen steht die Prüfung an: Für Belinda ist der Polymorphismus in der Programmierung immer noch ein Rätsel. Vielleicht hätte sie doch nicht erst gestern mit dem Lernen anfangen sollen?
«Wir beobachten, dass Studierende mehr und mehr dazu tendieren, erst kurz vor den Prüfungen zu lernen», erklärt Harald Gall, Informatikprofessor und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (WWF). «Das führt aber nur zu bescheidenem kurzfristigem Erfolg und selten zu tiefem Verständnis und Langzeitwissen.» Das wird zum Problem, denn es braucht dieses fest im Gedächtnis verankerte Wissen als Basis, um später vernetzt und kritisch an Herausforderungen im studierten Fachgebiet herangehen zu können. Studien zeigen, dass Lernende neue Inhalte besser verknüpfen, wenn sie sie regelmässig anwenden und in andere Formate übersetzen. Doch wie können Dozierende die Studierenden dazu motivieren, sich kontinuierlich und intensiv mit den Inhalten der Lehrveranstaltungen auseinanderzusetzen?
Gemeinsam mit seinem Postdoktoranden Carol Alexandru hat sich Gall über diese Fragen Gedanken gemacht. Denn insbesondere in den Grossveranstaltungen der Grundausbildung ist es eine Herausforderung, Studierende aktiv zu beteiligen. In Zusammenarbeit mit dem Team «Digitale Prüfungen und Lehre» des Dekanats und dem Institut für Informatik haben die beiden Visionäre ein Konzept mit doppeltem Nutzen erarbeitet: Im «Crowdsourced Durable E-Learning Tool» erhalten Studierende regelmässig die Aufgabe, mögliche Übungs- und Prüfungsfragen zum behandelten Stoff zu formulieren. Die Fragen werden anschliessend gesammelt und bewertet. Den Dozierenden dienen sie auch als Input zur Erstellung von Übungen, Selbsttests oder auch der Prüfung. Es sind willkommene Beiträge, denn im Zeitalter von Open-Book-Online-Prüfungen und ChatGPT ist das Schreiben von guten Prüfungen besonders zeitaufwändig geworden: «Um Betrug zu verhindern, braucht es oft zehn verschiedene Varianten einer Frage», erklärt Alexandru. «Da kann uns der Fragepool unterstützen, den wir mithilfe der Studierenden aufbauen.»
Das interaktive Unterrichtstool, das Alexandru derzeit entwickelt, soll künftig auf der Lernplattform OLAT zu finden sein. Als Teil der üblichen Wochenaufgaben fordert es die Studierenden dazu auf, Prüfungsfragen zum soeben behandelten Themengebiet zu entwickeln und einzureichen. Nachdem solche möglichen Prüfungsfragen eingegangen sind, spielt das Unterrichtstool allen anderen Studierenden zehn Fragen zu, die sie lösen und gemäss vorgegebenen Kriterien wie Qualität, Schwierigkeit und Zeitaufwand bewerten sollen. Danach sortieren Machine-Learning-Algorithmen ähnliche Fragen aus und helfen auch, allfällige Fehler zu korrigieren. Die Assistierenden und Dozierenden treffen nun aus einer kleinen Menge von qualitativ vorgeprüften Fragen eine Auswahl, sei es für eine Zwischenprüfung, eine neue Aufgabe oder eine Schlussprüfung. Dieses mehrstufige Verfahren filtert somit die besten Fragen aus einer sehr grossen Menge potenzieller Fragen heraus, die die Dozierenden anschliessend begutachten und verwenden können.
Über die Jahre wächst so ein hochwertiger Frage-Pool heran – zum Nutzen von Lernenden und Dozierenden: Studierende festigen während der Wochenaufgabe nicht nur ihr Wissen, sondern können sich aus der entstandenen Fragensammlung innert weniger Sekunden Tests zusammenstellen lassen, um für die Prüfung zu üben. Für Dozierende vereinfacht sich zusätzlich die Handhabung von Repetitionsprüfungen und Auswahltests für neue Masterstudierende. Aufgrund der unzähligen und einfach zu generierenden Testvarianten wäre es in Zukunft sogar denkbar, dass die Prüfungen nicht mehr zu einem fixen Zeitpunkt stattfinden, sondern von den Studierenden in einem Prüfungscenter absolviert werden, sobald sie sich gut vorbereitet fühlen.
Dass die Studierenden so eng in die Lehre miteinbezogen werden, hat mehrere Vorteile: Einerseits motiviert es sie, sich besser und früher auf die Prüfung vorzubereiten. «Um gute Fragen formulieren zu können und dadurch Bonuspunkte zu erhalten, müssen sich die Lernenden bereits in den Stoff eingelesen und die Konzepte verstanden haben», erklärt Gall. Andererseits schafft die innovative Herangehensweise mehr Transparenz im Hinblick auf die Prüfung, sodass Lernende sich sicherer fühlen und bessere Ergebnisse erreichen können. Auch andere Fakultäten interessieren sich für das Durable Learning Tool. 2024 wird es in Form eines Pilotprojekts in unterschiedlichen Lehrveranstaltungen der UZH getestet und steht ab 2025 auf OLAT allen interessierten Dozierenden zur Verfügung. Obwohl sich die Lehrinhalte an den UZH-Fakultäten unterscheiden, sind die angewandten Lernmethoden oft die gleichen. Methodische Unterrichtstools können deshalb in unterschiedlichen Fächern genutzt werden und wirken dabei als wahre Brückenbauer: «Sie fördern Kommunikation und Austausch über Disziplinen hinweg», erzählt Alexandru.
Mehr zur Artikelserie über die Initiative «Zukunft der Lehre an der UZH» lesen Sie hier.
Autor: Stéphanie Hegelbach, Mitarbeiterin UZH News