Staus und lange Wartezeiten an Kreuzungen in Innenstädten gehören zu unserem Alltag – als Fussgänger, ÖV-Benutzerin und im Individualverkehr. ETH Spin-off Lumisera verspricht mit selbst-gesteuerten Lichtsignalanlagen einen deutlich verbesserten Verkehrsfluss.
Jede grössere Stadt kennt das Problem: Knotenpunkte, wo es immer wieder zu Staus und Verzögerungen kommt. Ingenieure und Behörden entwickeln für jede Tageszeit und Verkehrsaufkommen Signalpläne für die Steuerung komplexer Lichtsignalanlagen. Ziel ist es, für jede Tageszeit die bestmögliche Variante für alle Verkehrsteilnehmer zu finden. Bei Bedarf können durch eine Grünphasensteuerung beispielsweise Busse des öffentlichen Verkehrs oder Fussgänger priorisiert werden. Diese Art von Lichtsignalsteuerung ist seit 20-30 Jahren Standard.
Christian Heimgartner (CEO) und Stefan Lämmer (CTO) von Lumisera gehen einen Schritt weiter und planen mit ihren selbstgesteuerten Lichtsignalanlagen den Verkehrsablauf von Sekunde zu Sekunde neu. Das heisst, die Schaltungen werden nicht im Voraus programmiert, sondern laufend an das Verkehrsaufkommen angepasst. Damit kann die Selbst-Steuerung schnell und flexibel auf Verkehrssituationen reagieren.
Das übergeordnete Ziel ist noch dasselbe: Die Verkehrsteilnehmer sollen wenige Stopps und Wartezeiten haben, Staus minimiert werden. Aus allen Möglichkeiten wählt das patentierte Optimierungsverfahren jene Kombination aus, die minimale Wartezeiten und Stopps bestmöglich erreicht. Das System erlaubt eine Gewichtung einzelner Verkehrsteilnehmer – und dies tageszeitenunabhängig, da das Verkehrsaufkommen fortlaufend analysiert wird. Treten unvorhersehbare Verkehrssituationen ein (z.B. Umleitungen), passt sich die Steuerung automatisch an.
Für die fortlaufende Analyse des Verkehrsaufkommens und Optimierung der Steuerbefehle wird eine Technologie angewendet, die ursprünglich an der TU Dresden und am Lehrstuhl für Computational Social Science unter Beteiligung von Professor Dirk Helbing entwickelt und patentiert wurde. Zur Erfassung drücken Fussgänger wie bis anhin auf den Knopf bei der Ampel. Busse senden automatisch einen Infodatensatz an die Steuerung, und für den restlichen Verkehr gibt es sowohl Kameras als auch im Asphalt eingebaute Induktionsschlaufen. Die übermittelten Daten ergeben ein dynamisches Abbild des Verkehrsaufkommens, aufgrund dessen die Software die Lichtsignalanlagen steuert.
Die kontinuierliche Datenerfassung und der Optimierungsalgorithmus erfordern im Vergleich zu herkömmlichen Lichtsignalanlagen mehr Rechenkapazität. Diese liefert ein externer Prozessor, der losgelöst von der Anlage in der Zentrale oder auch vor Ort bedient werden kann. So sind jederzeit Softwareupdates und Erweiterungen möglich, unabhängig vom Lebenszyklus der Lichtsignalanlage.
Die Stadt Luzern testete das System auf einem Strassenstück mit zwei Verkehrsknoten. Täglich verkehren dort 18'000 Fahrzeuge und rund 700 Busse. Infolge zahlreicher Arbeitsplätze in der Umgebung ist auch der Fuss- und Veloverkehr beträchtlich. Vor allem zu Spitzenstunden kam es zu Wartezeiten und Stau.
Strassenkreuzung mit Autos, Bus, Velos und Ampeln
Eine wissenschaftliche Analyse der Testphase im Januar 2020 durch das Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT) der ETH Zürich lieferte erfreuliche Resultate. Die Forscher verglichen die neue und die ursprüngliche Lichtsignalsteuerung. Für sämtliche Verkehrsteilnehmer verringerte sich die durchschnittliche Wartezeit an beiden Knotenpunkten – je nach Tageszeit sind die Einsparungen gar beträchtlich.
Die Selbst-Steuerung hat sich hervorragend bewährt und inzwischen die alte Steuerung ersetzt. Weitere Anlagen sind in Planung.
Selbst-gesteuerte Lichtsignalanlagen haben abgesehen vom verbesserten Verkehrsfluss noch weitere Vorteile. So ist beispielsweise die aufwändige Vorkonfiguration von verschiedenen Signalplänen für diverse Tageszeiten hinfällig. Ebenso deuten erste Beobachtungen darauf hin, dass die Sicherheit für Fussgänger erhöht wird, da diese weniger oft bei Rot die Strasse überqueren. Wirklich interessant würde das System im Zusammenhang mit vernetztem oder autonomem Fahren, da dort die Fahrzeuge ständig Signale senden, die auch ohne Induktionsschlaufen vom System empfangen würden.
Das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Im Moment konzentrieren sich Heimgartner und Lämmer auf die weitere Verbreitung selbst-gesteuerter Anlagen. Zurzeit laufen zwei Projekte in der Schweiz sowie drei Projekte in Deutschland. Ein weiterer Bereich ihrer Tätigkeit umfasst die Erstellung von Verkehrsgutachten für Behörden, wofür sie auf viele Jahre Erfahrung in der Branche zurückgreifen können.
Autor: Karin Kelly, ETH Zürich
ETH-News
Bildquelle: Rolf Leeb, Redaktion «Strasse und Verkehr”, VSS, 2021
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