Die European Spallation Source dient zur Untersuchung von Materialeigenschaften und Prozessen auf atomarer Ebene in den Bereichen Medizin, erneuerbare Energien oder Quantencomputing. ZHAW-Forschende entwickelten Schutzsysteme für diese weltweit einzigartige Neutronenquelle in Schweden.
Im schwedischen Lund entsteht mit der European Spallation Source (ESS) die weltweit stärkste Neutronenquelle. Die ZHAW School of Engineering war massgeblich an der Entwicklung der Maschinenschutz- und Personen-Sicherheitssysteme dieser Anlage beteiligt. 2025 soll die Grossforschungsanlage zum ersten Mal Spallationsneutronen generieren. Forschende versprechen sich durch den sehr intensiven und gepulsten Neutronenstrahl eine effizientere Erforschung von Materialeigenschaften. Die Anwendungen reichen von der Optimierung von Festplatten über die Untersuchung von Strukturen im Quantencomputing bis hin zur Weiterentwicklung von Solarzellen und der Aufschlüsselung von Molekülstrukturen. «Die Neutronen-Physik ist für die Erforschung der Materialstruktur sehr interessant. Neutronen durchdringen dichtere Materialien besser als zum Beispiel Röntgenstrahlen. Dadurch ermöglichen sie die Untersuchung der inneren Strukturen von Objekten», erklärt ZHAW-Forscher Christian Hilbes.
Der 600 Meter lange Protonen-Beschleuniger sowie die daran anschliessende, rotierende Neutronenquelle wurden eigens für die European Spallation Source entwickelt. Viele der Komponenten des Beschleunigers sind aufwändig realisierte Einzelanfertigungen. Wenn sich der Protonenstrahl stark ändert, können die Komponenten schneller altern oder es könnte sogar ein Loch entstehen. «Allfällige Schäden können eine lange Abschaltung der Anlage nach sich ziehen, was jeden Fall vermieden werden sollte», erklärt Christian Hilbes. Das Maschinenschutz-System soll reagieren, bevor es zu einem Schaden kommt. Dazu überwacht das System unzählige Parameter, die entlang des ganzen Beschleunigers gemessen werden. Überschreiten die Parameter festgelegte Toleranzen, wird innerhalb kürzester Zeit eine Strahlabschaltung durchgeführt. «Unsere Aufgabe bei der European Spallation Source bestand darin, die Konzepte für das Maschinenschutz-System zzz zu entwickeln sowie auch konkrete Teilsysteme davon zu realisieren. Zudem unterstützen wir bei der Entwicklung verschiedener Personensicherheits-Systeme», sagt Hilbes.
So sieht einer der über 20 Schränke mit Komponenten des Fast Beam Interlock-Systems aus, das die ZHAW entwickelt hat. Foto: Israa Ali/ESS Auf einige der Ereignisse beim Beschleuniger muss extrem schnell reagiert werden können. «Die Herausforderung war, dass es dafür kein kommerziell erhältliches Maschinenschutz-System gab, sondern wir dies von Grund auf entwickeln mussten», sagt Christian Hilbes. Daher hat das ZHAW-Team das sogenannte Fast Beam Interlock-System (FBIS) mit knapp 600 Hardware-Einheiten sowie entsprechender Software entwickelt. «Das Fast Beam Interlock-System muss Innerhalb von einigen 10 bis 100 Mikrosekunden reagieren und dies während 24 Stunden am Tag, möglichst ohne Fehlabschaltungen zu verursachen», erklärt Martin Rejzek von der ZHAW School of Engineering. «Zum Einsatz kommt das entwickelte System etwa, wenn ein Strahlstrommonitor eine unerwartete Strahlintensität misst. Dann muss es entscheiden, ob es den Strahl abschaltet oder nicht». Da die Strahlstrommonitore mit dem Fokus auf Strahloptimierung und nicht Maschinenschutz entwickelt wurden, mussten insgesamt mehrere hundert Signale von teils sehr unterschiedlichen Systemen in das Fast Beam Interlock-System integriert werden.
Auch an der Auslegung, Realisierung und bei der Nachweisführung verschiedener Personenschutz-Systeme der European Spallation Source war das Team der ZHAW massgeblich beteiligt. «Da es um Personenschutz geht, primär um den Schutz vor Strahlung, müssen für diesen Bereich sehr strenge Vorgaben eingehalten werden», erklärt ZHAW-Forscherin Joanna Weng. Dazu gehören zum Beispiel Regelungen, wann sich eine Person in welchem Bereich aufhalten darf.
2014 startete der Bau der European Spallation Source (ESS) im schwedischen Lund. Die Forschungseinrichtung ist ein Konsortium für eine europäische Forschungsinfrastruktur (ERIC), dem neben Schweden und der Schweiz elf weitere europäische Länder angehören. Aus der Schweiz ist neben der ZHAW auch das Paul-Scherrer-Institut (PSI) massgeblich am Aufbau des ESS beteiligt. Die Anlage ist zurzeit in der Inbetriebnahme. 2025 soll die Grossforschungsanlage zum ersten Mal Spallationsneutronen generieren. Wissenschaftler:innen aus vielen unterschiedlichen Forschungsbereichen versprechen sich durch den sehr intensiven und gepulsten Neutronenstrahl eine effizientere Erforschung von Materialeigenschaften.